Juli 10, 2020

Traumatisierung in der Kinderarztpraxis

Liebe Mami!

(Hier kannst du dir diesen Beitrag auch als Podcast anhören.)

Der Titel klingt zugegebenermaßen etwas provokativ.

Aber vielleicht muss das auch so sein!

 

Ich bin ehrlich:

Ich weiß nicht, ob ich, wäre ich keine Mami, auch so sensibilisiert wäre, was dieses Thema ‚wie geht die Praxis mit meinem Kind um‘ angeht. Erst als ich selbst Patientin wurde, kam ich in den Geschmack davon, wie es sich anfühlt, wie ein Stück Fleisch behandelt zu werden. Man sprach über mich, als wäre ich nicht da. Nach meinem Kaiserschnitt fror ich so stark, dass die ganze Liege wackelte und statt mich zuzudecken und aufzuwärmen, schob man mich halb nackt in einen OP-Flur und ließ mich dort, ohne ein Wort zu sagen, liegen. Ich persönlich nahm das niemandem übel, vielleicht weil ich die ‚andere Seite‘ kenne, vielleicht, weil ich relativ hart im nehmen bin, vielleicht, weil ich es nicht persönlich nehme.

 

Aber ich weiß auch, wie es ist, wenn die eigenen Eltern in der Klinik liegen und wie Abschaum behandelt werden. Ich weiß, dass man, wenn es um die Angehörigen geht, viel intoleranter ist und es einem sehr weh tut, wenn man beobachten muss, dass jemand sich z.B. seinen Kindern gegenüber lieblos, respektlos, grob oder ungeduldig verhält.

Und wenn ich ehrlich bin, bin ich manchmal froh um diese Erfahrungen, denn wenn ich eines nie wollte, war es abstumpfen.

 

Und weißt du was?

Es ist gar nicht so leicht. Denn das was für dich oder dein Kind in der Kinderarztpraxis ‚etwas Besonderes ist‘ ist für den Kinderarzt und sein Team absolute Routine.

 

Du kennst den Spruch:

‚Dein Alltag ist ihre Kindheit‘? Er erinnert dich als Mutter daran, dass all das was dich nervt, stresst oder treibt im Alltag, nämlich jeden Tag, die Erinnerung ist, die dein Kind in seinem Herzen trägt, die Erinnerung an seine Kindheit.

 

Vielleicht dürfen wir den auch übertragen, auf die Arztpraxen, die durch ihren Alltag manchmal vergessen, feinfühlig auf deine Bedürfnisse oder die deines Kindes einzugehen. Auch wenn ich das hier schreibe, weil ich eben die ärztliche Seite kenne und stets darauf achte, mir vom Alltag nicht die Menschlichkeit austreiben zu lassen, weiss ich dennoch, dass auch Patienten manchmal verzeihen dürfen.

Dennoch möchte ich mich an dieser Stelle einsetzen, für mehr Menschlichkeit und Achtsamkeit im Umgang mit den unschuldigen Kinderseelen und dir von Mutter zu Mutter zur Seite stehen, wenn du nach einem Kinderarztbesuch Tränen in den Augen hast, weil du das Gefühl hast, dein Kind ist schlecht behandelt worden oder weil dein Kind in all seiner Scham und Panik nicht gesehen und nicht gewertschätzt wurde. Alltag hin oder her- wir müssen einen gemeinsamen Weg finden, denn ein liebevolles Miteinander ist nur möglich, wenn wir unsere Grenzen beachten, egal ob das Kind groß oder klein ist: jede persönliche Grenze ist gleich viel wert!

 

Ich bin in den letzten Jahren immer und immer wieder auf dieses Thema angesprochen worden:

„Mein Kind hat Angst vor dem Kinderarzt und seinem/ihrem Personal, weil sie unmöglich mit meinem Kind umgegangen sind“.

Viele Mütter fragen mich, wie man damit umgehen soll, wenn in der Kinderarztpraxis Dinge mit dem Kind gemacht werden, unter dem es leidet. Müssen wir einfach cooler sein, nach dem Motto „Augen zu und durch“?

 

Oder sollten gewisse Untersuchungen eigentlich anders stattfinden?

 

Ich habe dazu zwei Kernaussagen:

  1. Wenn du mit deinem Kind in die Kinderarztpraxis gehst, bist du nicht diejenige, die dafür sorgen sollte, dass dein Kind dort liebevoll und respektvoll behandelt wird. Das ist etwas, das für das Praxispersonal eigentlich selbstverständlich sein sollte und automatisch passieren sollte.
  2. Wir als Erwachsene, als Kinderärzte, oder du als Mami, haben nicht zu entscheiden, welche Erlebnisse für dein Kind traumatisierend sind. Allein das Kind entscheidet, was für ihn schlimm ist oder nicht.

Ich bin mir sicher, dass viele ärztliche bzw. kinderärztliche Eingriffe bei Kindern (zumindest teilweise) als traumatisch empfunden werden. Es ist unsere Verantwortung als Mediziner dafür zu sorgen, dass sich jedes Kind, das vor uns steht, egal ob groß oder klein, gesehen, verstanden und wertgeschätzt fühlt.

Dazu gehört auch, dafür zu sorgen, dass Eingriffe, die potentiell traumatisch sein könnten, wie z.B. eine Blutabnahme, so bedürfnisorientiert wie möglich stattfinden.

Das oberste Bedürfnis in einer solchen Situation ist das Verlangen nach Selbstbestimmung, nach Abstand von Fremden und nach Sicherheit.

(Welcher Erwachsene hat schon gerne Nadeln in seinem Körper? Geschweige denn ein Kind, dass den Sinn und Zweck dahinter nicht versteht…)

 

Ich weiß natürlich nicht, was in anderen Kinderarztpraxen passiert, aber ich weiß, dass auch in der Erwachsenenmedizin sehr viele Grenzüberschreitungen passieren.

Ich denke, dass die Hauptursache in den Arbeitsbedingungen und dem daraus entstehenden Stress zu finden sind. Stress mindert das Feingefühl, das man doch eigentlich so dringend braucht, wenn man mit Menschen zusammenarbeitet und möchte, dass sie sich wohlfühlen!

Manchmal ist es auch so, dass die Chemie zwischen den Eltern und dem Arzt nicht stimmt, sodass Dinge falsch interpretiert oder „mit dem falschen Ohr“ gehört werden.

Aber egal wie die Situation ist, egal mit welchem Ohr man hört, egal ob man Stress hat oder ungeduldig ist, dies darf nicht auf den unschuldigen und wehrlosen Schultern eines Kindes ausgetragen werden.

 

Erwachsene können kommunizieren, wenn ihnen etwas nicht passt, Kinder schreien, weinen, ziehen sich zurück oder unterdrücken ihre Gefühle, da muss man umso feinfühliger sein.

 

Eltern und Praxispersonal sollten als Team auftreten:

„Wir sind für dich da, wir müssen etwas machen was dir nicht gefällt und wir verstehen das, aber wir sorgen dafür, dass es für dich so angenehm wie möglich ist, denn wir sehen und respektieren dich und deine persönlichen Grenzen. Wir nehmen deine Not wahr und werden die Reaktion auf das, was gerade hier passiert, nicht werten.“.

Einen liebevollen und respektvollen Raum zu schaffen, wenn sich ein Kind eingeengt fühlt, ist schlichtweg Aufgabe des Personals!

 

Es ist leicht zu denken ‚mein Gott, das Kind übertreibt und diese Übermutter kann nicht loslassen‘. Es ist aber wichtiger und liebevoller zu denken: ‚das Kind und seine Mutter fühlen sich nicht wohl, wir müssen das gemeinsam lösen und wenn es keine Lösung gibt, dann können das Gespräch, Respekt und Wertschätzung schon die Lösung sein!‘

Wie geht man damit um, wenn das Kind nicht „mitmacht“?

 

Es ist nicht selbstverständlich, dass sich ein Kind einfach so von fremden Menschen anfassen, jede Untersuchung über sich ergehen lässt und einfach „mitspielt“. Für uns als Ärzte ist manches Verhalten natürlich angenehmer und einfacher, aber wir sollten nicht in die emotionale Bewertung oder Abwertung eines Kindes abrutschen.

Ich spüre immer wieder, dass ‚nicht-brave Kinder‘, die den Arzt womöglich nervös machen könnten, auch Momente sind, in denen Mütter nervös werden. Vielleicht, weil ihr eigenes inneres Kind in dem Moment angetriggert wird, weil ihnen als Kind das Gefühl gegeben wurde, dass sie nur dann liebenswert sind, wenn sie richtig mitmachen.

Ein Kind ist nicht weniger wert, wenn es nicht richtig mitmacht und eine Mutter muss sich niemals für das Verhalten ihres Kindes während einer Untersuchung schämen!

Was ist mit dem Festhalten von Kindern?

 

Viele Untersuchungen beim Kinderarzt können spielerisch durchgeführt werden. Manchmal ist es möglich, die Mutter des Kindes mit einzubeziehen, sodass der Arzt das Kind nicht mal anfassen muss. Gerade bei schüchternen oder ängstlichen Kindern sind ärztliche Geduld und Kreativität gefordert.

Es gibt aber auch Untersuchungen, bei denen eine spielerische Herangehensweise schwierig ist, zum Beispiel wenn bei einem Kleinkind Blut abgenommen wird. In dem Fall kann es sein, dass das Kind festgehalten werden muss, da es sich bei Bewegung verletzen könnte oder man mehrmals stechen muss. Nichtsdestotrotz ist es wichtig, die Gefühle des Kindes in dem Moment ernst zu nehmen, denn das Kind entscheidet selbst, was es als schlimm empfindet!

 

In der Regel versucht man Untersuchungen „durchzuziehen“, weil es aus organisatorischen und logistischen Gründen einfach nicht möglich ist, bei allen Kindern,  die nicht mitmachen wollen, die Untersuchung zu verschieben. Hier sind Geduld, Flexibilität und eine kindgerechte Herangehensweise gefragt und der Arzt muss sich genau überlegen, mit welcher Untersuchung er beginnt, was er zuletzt macht und was man evtl. weglassen könnte. (Wobei man dazu sagen muss, dass man als Arzt immer mit einem Fuß im Gefängnis steht, wenn man nicht richtig untersucht und dokumentiert. Auch das Risiko eine Krankheit zu übersehen steuert unsere Arbeit, weshalb wir immer genau hinschauen müssen, zum Wohle des Kindes und zum eigenen Wohle!)

Sollte ich den Arzt wechseln, wenn mein Kind sich nicht wohl fühlt?

 

Anstatt den Kinderarzt zu wechseln, möchte ich dich darum bitten zuerst das Gespräch zu suchen. Da wir als Ärzte, genauso wie ihr als Eltern, immer nur das Wohl des Kindes im Auge haben (auch wenn man das zwischenmenschlich vielleicht nicht immer so empfindet), finde ich es wichtig, gemeinsam eine Lösung zu finden. Das geht nur, wenn man wohlwollend ins Gespräch geht, auf der Ebene der Verbundenheit miteinander kommuniziert und ohne Vorwurf seine Sorgen äußert.

Ich wiederhole mich, aber es ist wichtig:

 

Es war mir ein Anliegen darüber sprechen, dass es nicht deine Verantwortung ist, dafür zu sorgen, dass dein Kind lieb oder brav während der Untersuchung ist, dass niemand erwarten kann, dass sich das Kind wohlfühlt, gerne nackt ist, gerne macht was fremde Leute ihm sagen, dass es die ganze Zeit geduldig ist, auch wenn es vielleicht schon ewig in einem sehr lauten Wartezimmer gesessen hat.

Es ist die Hauptverantwortung vom Praxispersonal, dass sich das Kind gesehen, wertgeschätzt und respektiert fühlt.

 

Wenn etwas traumatisierendes passiert ist, weil man z.B. unbedingt Blut abnehmen musste, und das Kind um sich geschlagen hat und tatsächlich festgehalten werden musste, dann ist es ganz wichtig, dass man es ernst nimmt. Wir sind nicht diejenigen, die entscheiden dürfen ob ein Kind eine Situation als traumatisierend empfindet. Das Kind entscheidet durch seine eigene Interpretation, wann eine Grenze überschritten wird!

 

Wenn du dich für das Thema Trauma und den Umgang mit traumatischen Erlebnissen interessierst, dann mache ich dazu gerne noch einen Podcast! Mütter können, wenn ein Kind große Panik in der Praxis hatte, wesentlich dazu beitrag, dass die Energien der Panik nicht im Körper bestehen bleibt, sondern ‚losgelassen‘ werden kann!

Ich hoffe ich konnte dir und deinem Kind hier helfen!

Deine Désirée

 


Schlagwörter

In meinem Leben habe ich unvorstellbar viele Katastrophen erlitten. Die meisten davon sind nie eingetreten.

Mark Twain

Viel Spass beim Lesen!
Ich freue mich über einen KOmmentar von dir.

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  1. Ellen sagt:

    Hallo Désiré, vielen Dank für diesen Artikel. Ich fände es super, wenn du dazu auch noch einen Podcast über das Loslassen der Panik machen könntest. Beste Grüße, Ellen

  2. Marla sagt:

    Toller Beitrag 🙂 Ich hatte selbst ein sehr unschönes Erlebnis bei meinem Kinderarzt. Aus welchem Grund auch immer geriet ich als Kind in Panik, als ich eine Impfung bekommen sollte…Anstatt mit mir zu sprechen wurde ich von 4 Erwachsenen festgehalten und wurde geimpft. Bis heute hasse ich es festgehalten zu werden und brauchte ewig, bis ich ohne Panik zur Impfung gehen konnte.

  3. Kerstin sagt:

    Liebe Désiré,
    vielen Dank für diesen Blogbeitrag. Ich habe gerade erst deinen Blog entdeckt und bin begeistert 🙂 Ich hatte selbst beruflich als Psychologin immer wieder Kontakt mit Kindern mit frühkindlichen Traumatisierungen aufgrund von medizinischen Eingriffen.
    Ich finde das “Festhalten” ein großes Thema, da habe ich im Austausch schon verschiedenste Meinungen gehört, mich würde auch Deine interessieren 🙂

    Sollten in deinen Augen die Eltern das Kind mit festhalten, oder sollte dies dem medizinischen Personal überlassen werden und die Eltern ausschließlich als “Trostspender” fungieren? Macht es für das Kind einen Unterschied, ob die “Gewalt” nur von Fremden oder auch Vertrauenspersonen ausgeht? Oder ist daneben stehen und “nur” trösten genauso “schlimm”? Dass man dem Kind alles erklärt ist natürlich in beiden Fällen selbstverständlich.
    Viele Grüße
    Kerstin

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Mutter zu werden, hat mein Verständnis von Gesundheit komplett auf den Kopf gestellt und ich wollte mehr für mein Kind, als die Kinderärztin in mir ihr bieten konnte. Aber als Kinderärztin hatte ich nur gelernt, Krankheiten zu erkennen und zu behandeln, nicht Gesundheit zu stärken und schützen. In den letzten 11 Jahren durfte ich in meiner Praxis tausende von Familien begleiten. Meine Beobachtungen und eigenen Fragen als nun dreifache Mutter führten dazu, dass ich mich wie ein Detektiv auf die Suche machte, zu einem tieferen Verständnis der Ebene von Kindergesundheit, von der wir Ärzte und wir Eltern meist gar nichts ahnen. Meine Erkenntnisse und mein Wissen aus tausenden Stunden Fortbildungen in den Bereichen Kindermedizin, Psychologie und Neurowissenschaften (Fokus auf Trauma, Bindung/ Verbundenheit) haben mich nun zu euch gebracht. Ich möchte euch dabei helfen, von innen zu heilen - euch selbst und eure Kinder.

In tiefer Liebe, Désirée

Hi, ich bin Désirée!

Ich Habe 250 Tage im Bett gelegen, um sicherzustellen, dass meine Tochter lebend auf die Welt kommt.

Dieser Brief wird dich jede Woche mit kleinen Impulsen daran erinnern, was für dich und dein Kind wirklich wichtig ist!

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